Groß. Stadt.

Nervenzentrum der Menschheit. Wiege der Völker. Petrischale des Geistesmenschen. Groß. Stadt. Subgesellschaften aller Klassen lose aneinandergefügt zu einem Verband der unterschiedlicher nicht sein könnte, doch untrennbar aneinander gekettet, dieselbe Luft atmend, durchströmt vom selben Blut. Schmelztiegel der Kulturen, von verschiedensten Einflüssen immer aufs Neue durchweht, wie Ebbe und Flut in Sandstein seine Spuren hinterlassend, manche für Wochen, manche für Monate, Jahre, für immer. Die Stadt, einem pulsierenden Kokon gleich, saugt dich auf, wickelt dich ein, durchkaut dich, scheint dich zu zermalmen, läutert dich, verfeinert dich und gibt dich wieder frei, im idealsten Fall als einen besseren, offeneren, gereifteren Menschen.

Die Stadt braucht dich, sie braucht Menschen um zu überleben, sie braucht Menschen, da diese ihr ureigenes Wesen selbst ausmachen. Nicht vorzustellen eine Stadt ohne Menschen. Immer wieder gelingt es ihr, einen Menschen derart zu veredeln, dass dieser ihre Selbstdefinition weiterbringt, sie verändert und die Stadt an sich zu einer besseren, veredelten macht. Versteht man die Stadt, kann man sie nutzen, sie einfangen, sie aussaugen, sie sich zunutze machen. Da nur die wenigsten dazu imstande sind, ist sie für die meisten kalt, grau und einfältig. Sehenswürdigkeiten werden gesehen, registriert und abgehakt, Kaffeehäuser besucht, ohne ihr Wesen zu erfassen, es werden Parks durcheilt, um zur nächsten Straßenbahnhaltestelle zu gelangen, Brücken, Plätze und Höfe passiert ohne sie eines Blickes zu würdigen. So hat die Stadt keinen Einfluss auf diese Menschen, höchstens einen ermüdenden, schlechten. Einem Geistesmenschen, der imstande ist die Stadt zu sehen zu fühlen und zu schmecken gibt die Stadt in einem fort und ohne Unterlass. Er bedient sich ihrer, und sie bedient sich seiner, zu genannten Gründen der abermaligen Selbstverfeinerung.

Auch ist die Stadt mit einem U-Bahn-System durchzogen wie mit einem feinen System von Adern und Venen, die die in ihr vorhandenen Menschenkörper durch ihr gesamtes System spült, immer weiter, in einem fort, in einem nie enden wollenden Kreislauf der Fortspülung, der Menschendurchspülung. Im Zuge dieser Durchspülung wird die Menschenmasse mit einem Bindemittel angereichert, dem Gefühl der Verbundenheit, des Gleichgefühls. Reich oder arm, In- oder Ausländer, Handwerker oder Student, Haus- oder Karrierefrau, Autoverkäufer oder Lehrer, alles fährt mit der U-Bahn. Das nimmt die Spitzen, und überdeckt diese mit einer Verbundenheit, die zwar nur begrenzt wirksam ist, aber doch ein Gefühl des Gleichklangs vermittelt, des Miteinanders.

In diesem immerwährenden Kreislauf kannst du wachsen, dich entwickeln, und wirst selbst Groß. Stadt.

(Bild via dreafrei)

1 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

w.v....ich denk, das ist deine bis jetzt beste (muss gestehen erst ein paar gelesen zu haben - aber die ist verdammt gut)
mir fällt die rückkehr leichter

Kommentar veröffentlichen