Der erste Eindruck

Einen Menschen kennenzulernen ist ja etwas sehr Aufregendes. Du begegnest jemandem, kommst ins Gespräch, du bist unvoreingenommen, der Zähler auf Null. Deine Sinne saugen alles auf, was sie kriegen können, dein Gehirn kombiniert dann alle ihm zur Verfügung stehenden Eindrücke, lässt sie durch verschiedenste Filter laufen, den Erfahrungsfilter, den Menschenkenntnisfilter, den Erziehungsfilter, den Stilfilter und viele mehr, und spuckt dann eine Bewertung aus, ein Urteil. Das Bild, das du dir von diesem Menschen gemacht hast. Wenn dein Klein- und Großhirn dann gemeinsam in einem feierlichen Akt diese Bewertung dem Bewusstsein übergeben, hast du dir deine Meinung gebildet. Ein faszinierender Vorgang. Du bist hellwach, machst deine Sinne scharf, lässt alle dir zur Verfügung stehenden Ressourcen und Fähigkeiten einfließen, und kommst dann zu einer Bewertung, die auch ein kleines Bisschen über dich aussagt, darüber wie du die Welt siehst. Oder auch wie eine Freundin mal sagte, es ist wie das erste Mal eine unberührte Powderpiste hinunterzufahren. In jedem Fall also eine aufregende Sache.

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Eine Stadt kennenzulernen ist ja auch etwas sehr Aufregendes. Und im Prinzip laufen da die gleichen Vorgänge in uns ab, wie wenn wir einen Menschen kennenlernen würden. Wenn du das erste Mal in einer dir fremden Stadt bist, saugst du ebenfalls alle dir zur Verfügung stehenden Eindrücke auf, um dir ein Urteil zu bilden. Ist es eine schöne, oder eine hässliche Stadt? Lebt die Stadt, oder ist sie nur Massenunterkunft? Hat sie Seele, oder ist sie nur Hülle?

Vor einigen Tagen hatte ich die Möglichkeit, Mainz kennenzulernen. Da ich nur einen halben Tag Zeit hatte, konnte es klarerweise nur ein erster Eindruck werden. Und es begann nicht gut für Mainz! Ein bisschen Fachwerkbau hier, jede Menge Stahl und Glas dort, man hatte den Eindruck als wäre eine x-beliebige deutsche Kleinstadt zu einem seelenlosen, kalten Gebilde aufgeblasen worden. Dann der Marktplatz. Gut. Es gab also auch Menschen hier, Leben. Alle Stände voll gepackt mit landwirtschaftlichen Erzeugnissen in den buntesten Farben, kostende und kaufende Menschen überall. Es schien also möglich, hier ein gutes Leben zu führen. Doch immer noch stand der Eindruck einer beliebigen Stadt im Raum. Die Geschäfte, sterile Filialen großer Ketten, weite, gepflasterte Flächen mit vereinzelten Aussparungen für kleine Bäume, all das wirkte zwar bemüht, jedoch immer noch leb- und charakterlos.

Dann das Stadttheater. Man nimmt es erst auf den zweiten Blick wahr, etwas zurückversetzt an einem großen Platz. Doch es macht schon was her. Groß gebaut, hohe Domfenster, dahinter gut erkennbar große funkelnde Kronleuchter. Was für ein Glück, das an diesem Tag ein Theaterfest gefeiert wurde. An einem zurückversetzten Platz neben dem Theater wurde geprobt, für all die Aufführungen und Programmpunkte, die an diesem Tag noch folgen würden. Deutscher Pop und Jazz. E-Gitarren und Trompeten. Einen Rundgang durch das Haus später hatte ich jede Menge Werkstätten gesehen, Schneidereien für die Kostüme, Tischlereien und Malereien für die Kulissenbauer, eine, in der Requisiten erzeugt wurden, künstliches Blut und künstliche Tortenstücke. Dann das Training des Ballets. Ein französischer Leiter gab Anweisungen in vier verschiedenen Sprachen, der Saal war angenehm beleuchtet und gut gefüllt. Leben. Sinne. Gehalt.

Ich muss sagen, dieses Theater hat Mainz gerettet. Meine Bewertung, mein erster Eindruck dieser Stadt, wäre wohl nicht sehr positiv ausgefallen, wäre da nicht dieses wunderbare Theater mit seinem offenen, vor Lebensfreude sprühenden Ensemble gewesen. Menschen, die dort wo sie sind, die Umwelt um sie herum verbessern. Mainz ist nicht nur Beton, Pflastersteine und Glas. Mainz sind auch die Menschen, die hier leben. Und unter ihnen gibt es sie. Die, die eine Stadt lebenswert machen, ja sie erst zum Leben erwecken. Hätte ich das Theater an jenem Vormittag nicht entdeckt, wäre mein Urteil wohl niederschmetternd ausgefallen.

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Menschen vorschnell nach dem ersten Eindruck zu bewerten ist eine riskante Sache. Es gibt vielleicht Dinge an jemand zu entdecken, die diese Person erst liebenswert machen, sich aber nicht auf den ersten Blick erschließen. Bei einer Stadt, die man so schnell nicht wieder sehen wird, ist das noch relativ egal. Mit einer negativen Bewertung eines Menschen sollten wir uns Zeit lassen. Es könnte sein, das uns eine Powderpiste entgeht.
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Video der Woche - KW 36

The Master himself. Die Teile 2-5 gibts ebenfalls auf der Tube.

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Video der Woche

This is awesome.

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Landhochzeit

Ja die Landleut, die sind lustig. Ich hatte vor einigen Tagen die Gelegenheit zu einem psychedelischen Ausflug in die Eingeweide unseres Landes. Eine Hochzeit fand statt, und diese bot reichlich Gelegenheit die typischen Landleute etwas näher zu betrachten. Von Natur aus eher scheu, wagen sie ja selten den Weg in die Stadt. Obwohl, sooft wie man in der Stadt einem Auto mit ländlichem Kennzeichen hinterherfahren muss, könnte man glauben alle Landleute wären zeitgleich und organisiert unterwegs um den Verkehr in den Städten mutwillig zum Erliegen zu bringen.

Das Gasthaus. Hier beginnt es also. Man trifft sich hier zur Mittagszeit, steht in der verrauchten Wirtshausbude herum und wartet zusammen. Dann der erste Schock. Gemeinsamer Auszug aus dem Gasthaus, paarweise aufgereiht, mitten auf der Straße, voraus zwei Trompeter, alle anderen hinten nach, dem Standesamt entgegen. Ich habe also den totalen Jet-Lag. Raus aus der Stadt und sofort rein in einen Umzug, der Blasmusik hinterher. Der Umstand das es regnet verleiht dem Ganzen eine zusätzliche, skurrile Note.

Das Standesamt. Die 70er Jahre Einrichtung stört nicht wirklich. Die Standesbeamtin schon eher. Eine asexuelle Mittvierzigerin blickt durch ihre gestrenge Metallbrille abwechselnd in ihre große Mappe und dann wieder auf die Brautleute und liest leider Gottes alles in einem monotonen, angewiderten Ton ab. Furchtbar. Aber auch dies ist leider eine Eigenheit des Landes. Es ist ja interessante Sache das die Standesbeamten im Schnitt immer besser werden, je größer die jeweilige Gemeine oder Stadt ist. Das mag durchaus an der Übung liegen. Wenn jemand 150 Trauungen im Jahr vornimmt hat er einfach mehr Übung als jemand der das Ganze nur 10x jährlich macht. Was ja auch wieder die Gefahr in sich birgt, das mit der Frequenz auch das Desinteresse am jeweiligen Brautpaar steigt. Da die Beamten der Stadt aber trotz allem grundsätzlich besser sind, ist schon davon auszugehen, das dort einfach mehr Wert auf Qualität gelegt wird.

Also gut, Auszug aus dem Standesamt, wieder der Blasmusik hinterher, kurz wieder ins Wirtshaus, dann in die Kirche. Hier haben wir uns kurz ausgeklinkt, und uns dann zur Abendunterhaltung im Wirtshaus wieder eingeklinkt. Der Auftritt des Pfarrers dort hat dann eh gereicht, aber dazu später.

Das Wirtshaus. Landleute in hoher Konzentration. Da gibt es Frauen, denen die Augen so weit beisammenstehen, das sie einander zu berühren scheinen. Es gibt Landbuben, die sich die Art zu Essen von ihren Kühen abgeschaut haben müssen. Immer mit offenem mund, das Essen aus den Mundwinkeln auf das Teller zurückfallend. Typen mit schwarzen, zurückgegeelten Haaren die allen Ernstes meinen, besonders cool zu sein, weil sie Schwarz angezogen sind. Schwarz ja, aber ein 5 € Langarmleiberl IN der schwarzen ausgewaschenen Jeans, das ist zuviel. Nun ergreift also der Pfarrer das Wort, es wird das Tischgebet gesprochen. Besser gesagt, das Vaterunser heruntergeleiert. Und der ganze Festsaal betet laut mit. Ein beängstigendes, monotones Gebrabbel. Fast wie bei einer schwarzen Messe. Alle beten sie mit. Die Frauen mit den engen Augen, die wiederkäuenden Buben und die Typen mit den ausgewaschenen Jeans. Völlig egal, was diese Typen wochentags so treiben, oder mit wem, egal wie oft sie den Staat bescheißen, Müll rechtswidrig entsorgen, ihre Tiere am Hof misshandeln, die Kinder schlagen, hier sind sie alle heilig und beten fromm das Vaterunser.

Was dann folgte, also der Mittelteil des Abends, war vergleichbar mit städtischen Hochzeiten, die Leute waren halt um einen Deut schrulliger. Es gab wilde Verfolgungsjagden im Saal um den Brautstrauß, die Braut war ständig gestohlen, einmal war die Braut UND der Bräutigam gestohlen, und beide warteten jeweils auf den anderen, das er ihn auslösen möge, was zur Folge hatte, das Beide recht lange nicht bei der Feier waren, sondern soffen, was das Zeug hielt. Doch dann begann der Abend eine Eigendynamik zu entwickeln. Filmriß. Bruchstückhafte Erinnerungen. Man erzählt ich habe geschuhplattelt, Twist, Kasatschok, Polonaise und Sirtaki getanzt, und ich muss sagen, es war einfach ein befreiendes, reinigendes Erlebnis, man fühlte sich nachher irgendwie besser als vorher.

Ja, die Landleut, die sind lustig. Und das ist nach meiner neuesten Erfahrung nichts Schlechtes. Gerade dieser Mut zum Anderssein, dieses Zugeständnis ans Land, die bewusste Differenzierung zur Coolness der Städter, die sie ja doch nie erreichen würden, macht sie auch offener, direkter, macht es ihnen möglich Feste zu feiern wie sie fallen. In diesem Sinne: zsamm, zsamm, zsamm, zsamm...... !!
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